Das Jahr 1973 bietet uns gleich zwei prominente Beispiele für wilde Streiks. Es waren die - damals so betitelten - Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen aus der Türkei, Spanien, dem ehemaligen Jugoslawien, Italien und Griechenland, die für ihr Recht aufstanden. Schließlich war ihre Arbeitsleistung essenziell für das deutsche Wirtschaftswunder und das sollte auch anerkannt werden. So kämpften sie für bessere Arbeitsbedingungen und gleiche Löhne für alle - im sogenannten wilden Streik.
Bevor wir jedoch zur Definition und den rechtlichen Konsequenzen eines wilden Streiks kommen, wollen wir uns die spannenden Vorkommnisse bei Ford und Pierburg im Jahr 1973 noch rasch etwas genauer ansehen.
Ford-Werke in Köln 1973
Der wilde Streik in den Ford-Werken Köln legt den gesamten Betrieb eine Woche lang lahm. Dieser illegale Arbeitskampf gilt als Höhepunkt einer seit den 1950er-Jahren anhaltenden Bewegung. Laut Nachforschungen des Historikers Dr. Peter Birke streikten nämlich im gesamten Zeitraum ca. 250.000 Menschen in über 300 Firmen spontan und illegal. (Quelle: www.swr.de)
Bei Ford besetzen tausende ausländische Angestellte über mehrere Tage das Firmengelände - die deutschen Mitarbeitenden jedoch beteiligen sich nicht. Auch die Unternehmensführung lässt nicht mit sich verhandeln. Der Streik wird von der Exekutive mit Gewalt niedergerungen. Weder Diskriminierung noch Lohnungleichheit finden ein Ende.
Pierburg-Werke in Neuss 1973
Ähnliches ereignet sich in den Pierburg-Werken. Jedoch mit anderem Ausgang. Dieser wilde Streik ist von Erfolg gekrönt. Die im Betrieb tätigen Frauen mit migrantischem Hintergrund begeben sich in einen mehrtägigen illegalen Arbeitskampf und werden mit der Abschaffung einer eigens für sie gültigen Gehaltsgruppe belohnt. Hier zeigt sich die deutsche Belegschaft in Teilen solidarisch. Ein erster Schritt in Richtung Schließung der Pay-Gap ist getan.
Was ist ein wilder Streik? Definition und Konsequenzen
Über diese historischen Beispiele nähern wir uns nun der heute gültigen Definition des Begriffes „Wilder Streik”. Die Arbeitsniederlegung erfolgt bei dieser Form des Arbeitskampfes im Kollektiv und ohne Vereinbarung mit der Gewerkschaft. Deswegen wird er auch als „spontaner Streik” bezeichnet.
Egal, ob Warnstreik oder längerfristige Arbeitsniederlegung: Wilde Streiks sind in Deutschland rechtlich nicht zulässig und können mit Arbeitsverweigerung gleichgesetzt werden. Mit dem unrechtmäßigen Stopp der Arbeit verletzen Arbeitnehmende ihre vertraglichen Pflichten und gehen das Risiko arbeitsrechtlicher Konsequenzen ein. Diese reichen von Gehaltskürzungen über Abmahnungen bis hin zu außerordentlichen Kündigungen.
Wilder vs. legaler Streik: Das sind die Unterschiede
Die Unterschiede zwischen legalen und illegalen Arbeitskämpfen arbeiten wir, wie folgt, anhand der rechtlichen Rahmenbedingungen für einen legalen Streik heraus:
Die gesetzliche Grundlage für das Streikrecht finden wir im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit umfasst auch das Streikrecht der Gewerkschaften (Art. 9 Abs. 3 GG), da die Tarifvertragspartei sonst kein wirkungsvolles Mittel besäße, um mit den Arbeitgebenden zu verhandeln. Nur, wenn eine Gewerkschaft (z. B. die IG Metall in Frankfurt) einen Streik mitträgt, kann er legal sein. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht bereits im Jahr 1963. Ansonsten droht Arbeitnehmenden, wie oben bereits erwähnt, im schlimmsten Fall die fristlose Kündigung.
Mit einem legalen Streik muss die Gewerkschaft zudem ein bestimmtes Ziel verfolgen. Das bedeutet, dass sie ihre Forderungen gemeinsam mit den Streikenden an den richtigen Empfänger, nämlich die Arbeitgebenden, zu richten hat. Die gestellten Ansprüche müssen weiterhin im Tarifvertrag regelbar und tarifrechtlich zulässig sein. In Deutschland ist es verboten, einen politischen Streik (dabei richten sich die Forderungen an den Gesetzgeber) durchzuführen.
Ein rechtlich einwandfreier Arbeitskampf setzt weiterhin voraus, dass die Friedenspflicht eingehalten wird und, dass er die sogenannte „Ultima Ratio”, das letzte Mittel, darstellt. Es müssen also Verhandlungen geführt werden und erst, wenn diese nicht zu einer Einigung führen, darf gestreikt werden (Ausnahme: Warnstreiks).
Diese Maßnahmen können Arbeitgebende im Falle eines wilden Streiks ergreifen
An dieser Stelle erlauben wir uns den Hinweis, dass Maßnahmen, die als Antwort auf einen wilden Streik ergriffen werden, im Zweifelsfall immer mit Rechtsexperten abgestimmt werden sollten. Selbstverständlich arbeiten wir in der Informationserstellung nach bestem Wissen und Gewissen, können aber leider keine Gewähr für Richtigkeit und fortlaufende Aktualität übernehmen.
Zur Beilegung eines wilden Streiks sollten sich Arbeitgebende verhandlungs- und gesprächsbereit zeigen, um den Schaden für den Betrieb möglichst gering zu halten. In Abstimmung mit der Rechtsabteilung können weitere Maßnahmen ergriffen, bzw. zunächst angedroht, werden. Diese Möglichkeiten gibt es:
Verhandlungsbereitschaft signalisieren und um Wiederaufnahme des Betriebs bitten
Gehaltskürzung für die Dauer der Arbeitsverweigerung
Androhung und/oder Erteilung von Abmahnungen
Möglichkeit der fristlosen Kündigung erwägen (allerdings sollte das wirklich die Ultima Ratio darstellen, da das Employer Branding (auch und gerade über Social Media) massiven Schaden nehmen kann)
Schadensersatzansprüche von der Rechtsabteilung prüfen lassen
Praxisbeispiel aus der jüngeren Vergangenheit
Wie drastisch die Folgen eines wilden Streiks tatsächlich sein können, zeigt der Aufstand der Fahrradkuriere des Lieferdienstes Gorillas aus dem Jahr 2021. Sie protestierten vier Tage lang in der Zufahrt des Betriebes. Den mehrfachen Aufforderungen der Geschäftsleitung zur Wiederaufnahme der Arbeit folgten zahlreiche fristlose Kündigungen. Drei der betroffenen Kuriere zogen vor das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Die Berliner Judikative erklärte die Kündigungen aber für wirksam, da es sich um einen sogenannten verbandsfreien, also wilden und somit illegalen Streik gehandelt hatte. Die Klagenden verloren den Prozess vor dem Arbeitsgericht Berlin.
Regelungen in anderen europäischen Ländern
Das in der BRD praktizierte Streikrecht wird mit Blick auf andere europäische Länder vielfach kritisiert. Dies hängt mit einer Regelung in der Europäischen Sozialcharta zusammen. In diesem Vertrag aus den 1960er-Jahren ratifizierten die europäischen Staaten unter anderem eine Bestimmung, aus der das Streikrecht der Arbeitnehmenden hervorgeht. Gewerkschaften finden hier keine Erwähnung. In Frankreich beispielsweise dürfen daher auch Arbeitnehmende zum Streik aufrufen.
Was Du tun kannst, damit es nicht zu einem illegalen Arbeitskampf kommt
Damit ein wilder Streik nachträglich nicht zu Schäden im Unternehmen führt und am Arbeitgeber-Image kratzt, kannst Du mit relativ einfachen Mitteln dafür sorgen, dass es erst gar nicht so weit kommt. Wir haben einige Präventionsmaßnahmen für dich zusammengestellt:
Diversität, Gleichheit und Inklusion: Niemand darf aufgrund Herkunft oder Geschlechts benachteiligt werden. Ein offenes und tolerantes Arbeitsklima führt zu mehr Ausgeglichenheit und Zufriedenheit im Betrieb. Diskriminierung und Ungleichbehandlung sind passé.
Kommunikation: Wer nicht kommuniziert, weiß nicht, wie es um die Stimmung im Betrieb bestellt ist. Selbstverständlich kann die Geschäftsleitung nicht laufend mit jedem einzelnen Mitarbeitenden in Kontakt stehen, sie verfügt aber über ein wirksames Instrument: die (halb-)jährliche anonymisierte und digital gestützte Befragung der Mitarbeitenden. Du möchtest auch regelmäßig Befragungen durchführen, weißt aber nicht, wie? Wir beraten dich gerne. Mit der HR-Software von flair ist es ein Kinderspiel, die Stimmung im Betrieb einzufangen und auszuwerten. Buche hier eine kostenfreie Demo!
Lohnabrechnung: Eine unpünktliche Auszahlung der Löhne war ein Kritikpunkt der Streikenden bei Gorillas. Daher ist es besonders wichtig, dass die Angestellten ihr Geld pünktlich und verlässlich auf dem Konto haben. Schließlich müssen sich auch Arbeitgebende an ihre Vertragspflichten halten. Mit flair bist Du auch im Bereich Payroll auf der sicheren Seite. Unsere Software arbeitet präzise, effizient und ist skalierbar.
Fazit
Es gilt zu bedenken, dass ein wilder Streik auch die Ultima Ratio der Beschäftigten ist. Wer vorher genau hinhört und sich für die Belange der Mitarbeitenden einsetzt, neue Lösungsansätze sucht und gleichermaßen unternehmerisch wie innovativ denkt, minimiert das Risiko eines illegalen Arbeitskampfes.
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